Auszug aus "Señor Nice"

    


Señor Nice

352 Seiten
Paperback
ISBN:
3-923838-54-9
14,90 € Ladenpreis

Auszug aus „Senor Nice“, Kapitel „Brasilien“:

Ich ging nach unten, in das dunkle Untergeschoss eines West End Tanzclubs in Soho. Russinnen wirbelten um Stangen, Lichter blitzten auf und Musik plärrte laut aus den Boxen. Schemenhaft erkannte ich die Silhouetten von Dave Courtney, Bernie Davies, Tony Lam-Brianou, Charlie Breaker und anderer Mitglieder der „Firma“, die mit Mitgliedern der Alabama 3 ins Gespräch vertieft an einem Tisch saßen. Langsam bewegte ich mich auf sie zu.

Jemand tippte mir auf die Schulter.

„Danke, dass du hergekommen bist, Howard. Habe dich eine ganze Weile nicht gesehen.“
Es war Bruce Reynolds, der führende Kopf des großen Eisenbahnraubes und der vornehmste von allen, die außerhalb des Gesetzes leben. Ich traf Bruce zum ersten Mal Mitte der Achtziger, während der Schauspieler Larry Lamb ihn in dem Film „Buster“ spielte. Larry war mit meiner ersten Frau, Ilze, befreundet und hatte mich mit Bruce bekannt gemacht. Zehn Jahre später traf ich ihn noch mal durch Nick, einen talentierten Bildhauer und Musiker, der mit Alabama 3 spielte und mit dem ich schon bei verschiedenen Veranstaltungen und Vorträgen zusammengearbeitet hatte. Es war schon ein oder zwei Jahre her, dass ich Bruce zuletzt getroffen hatte. Es war in den Farrindon Tardis Studios, wo wir Auszüge unserer jeweiligen Biographien vorgelesen hatten. Er schien besorgt. Ich erinnere mich an unsere Unterhaltung.

„Was ist los, Bruce? Du scheinst beunruhigt zu sein.“
„Es ist keine wirkliche Besorgnis. Ich bin nur ein wenig beunruhigt wegen Ronnie. Du weißt ja, dass ich, mein Sohn Nick, Dave Courtney und Roy Shaw in Rio zu seinem siebzigsten Geburtstag waren.“
„Ja, Nick hat mir davon erzählt. War es nicht auch eine Geburtstagsfeier für den Eisenbahnraub?“
„Das stimmt, es war der sechsunddreißigste Jahrestag. Wir begingen den Raub 1963, an Ronnies Geburtstag. Wir amüsieren uns immer noch darüber. Aber Ronnie ist krank, ernsthaft krank. Und er ist völlig pleite.“

Ronnie Biggs floh vor einer dreißigjährigen Haftstrafe in einem britischen Gefängnis und kam 1970 nach Brasilien. Vier Jahre später wurde er von Jack Slipper vom Scotland Yard in Rio de Janeiro verhaftet. Biggs konnte den Ausweisungsbeschluss mit der Begründung verhindern, er habe ein Kind namens Michael mit seiner brasilianischen Freundin Raimunda. Kurze Zeit später nahm er mit den Sex Pistols den Song „No One is Innocent“ auf. 1981 wurde er von einer Bande Kopfgeldjäger in Rio entführt und per Schiff nach Barbados geschmuggelt. Das oberste Gericht in Barbados entschied jedoch, dass die Bestimmungen für eine Auslieferung nach England nicht korrekt beachtet wurden und erlaubte Biggs, nach Rio zurückzukehren. Dort lebte er in einem baufälligen Apartment in Santa Teresa, einem Stadtteil voller Kleinkrimineller in den Außenbezirken von Rio. Biggs verdiente sein Geld, indem er T-Shirts und Fotografien von sich verkaufte. Manchmal auch, indem er Touristen Geschichten seiner Flucht erzählte. 1997 wies der oberste brasilianische Gerichtshof eine erneute Auslieferungsanfrage der britischen Behörden zurück. Während der nächsten zwei Jahre erlitt er eine Serie von Schlaganfällen, die ihn halb gelähmt und unfähig zu sprechen zurückließen.

„Weißt du, was er mir damals gesagt hat, Howard? ,Du hast mich hier reingeholt, Bruce. Kannst du mich auch wieder rausholen? Ich habe nur noch einen einzigen Wunsch im Leben, und der ist ein Glas Bier in einer Kneipe in Margate zu trinken.´“
„Was erwartet er jetzt von dir?“
„Ich soll ihm helfen, wieder in dieses Land zu kommen.“
„Was? Er will einen Strand in Brasilien für eine Zelle im Knast von Wandsworth eintauschen? Ich hoffe, du hast ihn vom Gegenteil überzeugt.“
„Ronnie glaubt, dass sie ihn nach einer Weile aus Mitleid wieder rauslassen und dass er während seiner Gefangenschaft eine vernünftige medizinische Versorgung erhält.“
„Seit wann sind die zu Mitleid fähig, Bruce? Die Kerle in Wandsworth würden es lieben, Ronnie Biggs sterben zu sehen, während er einen Postsack zusammen näht und ich glaube der Begriff ,vernünftig´ beschreibt in keiner Weise die medizinische Versorgung, die ,Ihre königliche Hoheit´ ihren Gefangenen zukommen lässt, es sei denn, es hat sich seit meiner Zeit dort etwas grundlegend geändert. Ich würde es an seiner Stelle mal mit den brasilianischen Ärzten versuchen.“
„Es würde ein größeres Vermögen kosten, als wir alle zusammen aufbringen könnten.“
„Kann nicht irgendeine Zeitung die Summe für einen Exklusivbericht bereitstellen?“
„Das habe ich versucht. Die Medien sind nur bereit, über Dinge zu schreiben, die für ihn nachteilig sind, wie zum Beispiel all die Schlaganfälle, die er hatte. Zeitungen zahlen nur, wenn er sich stellt. Im übrigen ist es seine Wahl. Wenn es das ist, was er tun will, dann muss ich ihm helfen. Niemand sollte unter fremdem Himmel sterben und in fremder Erde begraben sein. Ich war es, der ihn letztendlich dorthin gebracht hat und ich werde es sein, der ihn zurückholt. So oft wie möglich werde ich ihn besuchen, ihm etwas Geld zukommen lassen und ich werde alles tun, um seine vorzeitige Entlassung zu erwirken.“

Einige Monate später schob Nick Reynolds einen Rollstuhl in die Abflughalle des Flughafens von Rio de Janeiro. Ronnie Biggs kehrte heim. Ein Privatjet mit vierzehn Sitzplätzen, gechartert von der Zeitung „The Sun“, wartete auf ihn. Biggs wurde in dem Moment verhaftet, als seine Füße britischen Boden betraten. Freunde und Bekannte organisierten zahlreiche Spendensammlungen, um die Anwaltskosten für eine vorzeitige Entlassung aufbringen zu können. Dies war die erste Veranstaltung, an der ich teilnehmen konnte.

„Bruce, wie geht’s denn so?“
„Gut, aber Ronnies Zustand wird immer schlimmer, seine Familie steht Höllenqualen aus. Es ist sehr schwer, Geld für ihn zu sammeln. Außer uns ist offenbar niemand interessiert. Die meisten Leute wollen wohl, dass er den Rest seines Lebens im Knast verbringt.“

Dave Courtney gesellte sich zu uns.

„Da liegst du nicht falsch, Bruce. Die Mistkerle faseln dauernd etwas über den Schutz der Gesellschaft und ähnlichen Unsinn. Ich meine, er wird wohl kaum noch mal einen Zug ausrauben, oder? Zuerst mal; er kann weder laufen noch sprechen. Welche Art von verlauster Gesellschaft muss sich vor Krüppeln, die in den letzten Zügen liegen, beschützen? Dieser ganze Scheißverein besteht nur aus Sadisten. Dann gibt es noch die Spinner, die vom Mittel der Abschreckung sprechen. Es ist verdammt zu spät für Ronnie, noch als Abschreckung zu dienen. Er hatte ein sehr schönes Leben. Ronnie ist ein lebendes Werbeplakat für eine kriminelle Karriere. Aber die Kriecher, die mir wirklich stinken, sind die, die immer noch über den Lokführer jammern. Wissen die nicht, was mit Boxern passiert? Was wollte der Arsch damit beweisen, als er Eisenbahnräuber von ihrer ehrlichen Arbeit abhielt? Verdammter Freiheitskämpfer.“
„Nun ja, sie haben ihn immerhin von seiner Arbeit als Zugführer abgehalten“, sagte ich, um Dave zu beruhigen. Bruce lachte. Dave versuchte nicht zu lachen.
„Da siehst du, wer von uns der Komiker ist. Geht’s dir gut Howard? Ich wollte dich nicht ignorieren. Habe dich seit dem Blödsinn in Teneriffa nicht mehr gesehen. Wie auch immer, wenn Ronnie ein ehemaliger Terrorist gewesen wäre, dann wäre er schon lange zu Hause ...“

Dave Courtney und Tony Lambrianou waren zwei der öffentlich bekanntesten Mitglieder der „Firma“, einer Organisation, die in den frühen Sechzigern von Ronnie Kray gegründet wurde. Sie hatten meine erste Mr. Nice-Live-Show im Sheperd’s Bush Empire 1997 gesehen. Trotz der strikten Sicherheitsmaßnahmen hatten sie offenbar keine Schwierigkeiten gehabt, Zugang zu der hinter der Bühne stattfindenden Party nach der Show zu finden. Dave fing mich nach der Show ab, gab mir einen dicken Kuss und erzählte mir, dass er auch darüber nachdachte, die Karriere eines „Stand up comedian“ einzuschlagen und war gekommen, sich ein wenig Inspiration der Marke „wenn der’s kann, kann ich’s auch“ zu holen. Wir redeten eine Weile und ich konnte nichts anderes tun, als die ganze Zeit vor Lachen zu brüllen. Er ist saulustig und einer der talentiertesten Geschichtenerzähler des Landes. An diesem Abend freundeten wir uns an und sind bis heute die besten Freunde geblieben. Nicht lange danach fragte Dave mich, ob ich mit ihm in einer Doppelvorstellung bei einer Veranstaltung in Teneriffa auftreten wollte. Ich stimmte sofort zu. Das Publikum bestand fast ausnahmslos aus emigrierten Briten, und sie liebten die Show. Aber anscheinend war während der zweiten Hälfte eine Messerstecherei ausgebrochen. Nach der Show gingen Dave mit seiner bemerkenswerten Gefolgschaft, mein Manager Giles Cooper und ich zur Bar, um Autogramme zu geben, uns gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und uns zu betrinken. Alles schien friedlich, bis plötzlich eine Gruppe von zwanzig Männern arabischer und spanischer Herkunft, mit Baseballschlägern bewaffnet hereinstürmten. Die Bar explodierte. Giles und ich tauchten ab und suchten Zuflucht in unseren Hotelzimmern.

„Um was ging es da eigentlich in Teneriffa, Dave?“
„So etwas passiert dauernd, Howard. Es gibt immer eine Kluft zwischen uns und den libanesischen Jungs, vor allem wenn ich da bin. Habe es nie so ganz verstanden. Ein Glück, dass anscheinend niemand verletzt wurde.“
„Ich dachte, jemand wurde erstochen?“
„Das war während der Show, nicht an der Bar. Hatte nichts mit uns zu tun. Irgendein privater, häuslicher Streit, soviel ich weiß. Wie auch immer, das nächste Mal tun wir zwei uns mal zusammen, dann bekommst du den Schlagring und ich rauch den Joint.“

Bernie Davis kam zu uns.

„Alles klar, Alterchen? Kommst du nächsten Monat auch nach Glastonbury? Sie haben ein tolles Veranstaltungsprogramm: Rod Steward, Coldplay und natürlich unsere Kumpel aus den walisischen Tälern, Stereophonics und Alabama Three.“
„Nicht in diesem Jahr, Bernie. Komischerweise bin ich weg nach Brasilien, um dort ein paar Nachforschungen über die Waliser zu betreiben.“
„Der alte Henry Morgan war auch schon mal da, nicht wahr?“
„Glaub’ ich nicht, Bernie, aber ich prüfe es mal nach. Seit Panama gönne ich Henry Morgan eine Pause. Der Grund meiner Reise nach Brasilien ist, dass ich herausfand, dass die Waliser dort eine Kolonie gegründet haben.“
„Ich wusste nicht, dass Patagonien in Brasilien liegt.“
„Da hast du Recht. Es liegt in Argentinien. Kennst du denn Patagonien?“
„Klar, Alterchen. Meine Vorfahren väterlicherseits waren offenbar die Ersten dort unten und ich habe schon darüber nachgedacht, auch mal hinzufahren, um ein paar reiche Verwandte zu finden.“
„Irgendwann werde ich das sicher auch tun. Aus eben diesen Gründen. Wir könnten zusammen fahren. Lass uns mal darüber reden.“

„Entschuldigen Sie die Unterbrechung“, sagte eine leise Stimme, „hörte ich richtig, dass Sie nach Brasilien fahren? Mein Name ist Jim Shrein und ich bin ein Freund von Nick Reynolds. Und das ist Michael Biggs, Ronnies Sohn.“

Ich schüttelte beiden die Hand und sprach Michael mein Beileid aus. Jim hatte ein warmes lächelndes Gesicht und einen Hauch mittelöstlicher Herkunft. Michael hatte auch ein freundliches Gesicht, sah aber sehr besorgt aus.

„Wenn ihr dorthin geht“, fuhr Jim fort, „müsst ihr mich unbedingt besuchen kommen. Ich lebe in Rio und ich verspreche euch, wir werden eine tolle Zeit haben.“

 

Auszug aus „Senor Nice“, Kapitel „Am Boden“

Ich flog vom Flughafen Leeds/Bradford nach Barcelona und nahm ein Taxi zu einem Café nah bei den Ramblas. Wie in spanischen Cafés üblich, war der Fernseher auf volle Lautstärke gestellt. Ich war zu früh und Scott war noch nicht da. Ich bestellte ein Bier. Der Kellner ahnte, dass ich Brite war und fragte, ob ich das Fußballspiel im Fernsehen schauen wollte: Barcelona gegen Manchester United sollte in zehn Minuten beginnen. Ich sagte, ich wollte und er brachte mir ein paar tapas. Ich hatte kein Fußballspiel mehr gesehen, seit ich vor fünf Jahren als Korrespondent für den Evening Standard tätig war. Scott kam erst zwei Stunden später und bis dahin hatte Barcelona längst das Match gewonnen.

„Entschuldige, dass ich zu spät komme, Kumpel. Bin in diesem Mist hängen geblieben“, sagte Scott und deutete auf den Fernseher. „Die Stadt ist förmlich blockiert mit Autos und jubelnden, schreienden Menschen. Ich denke, Barcelona hat gewonnen.“
„Sie haben brillant gespielt, Scott. Sie haben den Sieg verdient. Es war ein gutes Spiel.“
„Ich dachte ihr Waliser seid, wie wir Australier, nur an Rugby interessiert.“
„Meintest du, wir sind nur beim Rugby gut?“, fragte ich.
„Ist doch das Gleiche, oder?“
„Ich denke ja. Aber Wales wird in letzter Zeit immer besser im Fußball. Sie haben einige wirklich gute Spieler. Ryan Giggs spielte heute Abend. Er war der beste Spieler in der Partie.“
„Mir scheint, so viele Tore hat er nicht geschossen“, lästerte Scott.
Ich wechselte das Thema.
„Wie ist denn im Moment die Lage in der Schweiz?“
„Nicht gut, Kumpel, gar nicht gut.“
„Wie kommt’s?“

Scott erklärte, dass in den letzten paar Wochen die Behörden im Tessin Dutzende von Cannabis-Geschäften gestürmt und geschlossen hatten, davon auch einige die ich besucht hatte, als ich das letzte Mal bei ihm in Chiasso war. Dieser Strategiewechsel der Behörden entstand durch die letzten Kommunalwahlen, bei denen die siegreiche Partei in ihrer Wahlkampagne die Schließung aller Cannabis-Shops im Tessin zum Thema gemacht hatte.

„Ich dachte, der oberste Gerichtshof der Schweiz hätte entschieden, dass es legal ist, Cannabis anzupflanzen. Wie können sie die Leute jetzt dafür hochgehen lassen, dass sie lediglich die Ausrüstung dazu verkaufen?“, fragte ich.
„Sie haben so entschieden, aber die Gesetze in der Schweiz sind seltsam, Kumpel, sehr seltsam. Jedes Urteil des Gerichtshofes ist genau das, ein Urteil hinsichtlich eines einzigen Falles. Ein Urteil des höchsten Schweizer Gerichtes ändert oder schafft kein Gesetz; es ist lediglich eine den Umständen entsprechende Interpretation.“
„Und was heißt das?“
„Verdammt, wer soll das wissen? Aber offensichtlich bedeutet es, dass die Hanfsamenläden hochgenommen werden können.“
„Wenn ich es mir recht überlege, ist das nicht verwunderlich, wenn der Hanfsamenladen in Chiasso nur ein Beispiel für viele war. Sie haben dort öffentlich und offensichtlich Dope verkauft. Aber warum spielt es überhaupt eine Rolle? Ich glaube nicht, dass die Mr. Nice Samenbank oder Gene Bank Technology irgendwelche Hanfläden besitzt.“
„Nein, das tun sie nicht. Aber es ist ein erster kleiner Anfang. Die Behörden des Tessins werden sich nicht damit begnügen, nur ein paar Hanfläden zu schließen. Unternehmen, die Samen oder andere Cannabisprodukte herstellen, werden die nächsten sein, jede Wette. Ich will raus, bevor das passiert. Jeder Knochen in meinem Leib fühlt es kommen. Spanien ist der Ort, wo wir wieder etwas aufbauen können. Es ist hier nicht illegal, Hanfsamen zu besitzen oder anzubauen. Stimmst du mir zu?“
„Ja, aber das spanische Gesetz ist auch ein wenig seltsam. Ich weiß das, weil ich darunter leiden musste, als ich 1989 fälschlicherweise nach Amerika ausgeliefert wurde. Es ist so ziemlich alles legal, was den Anbau von Hanf betrifft, aber wenn die öffentliche Ordnung beeinträchtigt oder bedroht ist, können dich die Behörden allein dafür hochgehen lassen.“
„Was heißt denn öffentliche Ordnung?“, fragte Scott.
„Soweit ich weiß alles, was die spanischen Bullen darunter verstehen wollen. Aber ich vermute, wenn die Samenproduktion ohne viel Aufhebens und ohne dass zu viele Leute es wissen betrieben wird, kann das die öffentliche Ordnung kaum betreffen.“
„Genau so wollte ich es ohnehin aufziehen und ich habe auch schon einen passenden Platz gefunden, den man mieten kann. Ich dachte nur, ich erzähl es dir zuerst mal. Ich gebe den Jungs in Lugano jetzt Bescheid, dass sie die elterlichen Pflanzen, die ich brauche, hierunter bringen sollen. Kein Drama.“

Scott ging nach draußen, um zu telefonieren. Nach zehn Minuten kam er, blass und zitternd zurück. Jetzt kamen die schlechten Nachrichten.

„Nun, Kumpel. Jetzt dampft die Kacke. Die Schweizer Polizei hat gerade Gene Bank Technology hochgehen lassen, inklusive der gesamten Ausrüstung und allem Dope, das sie finden konnten. Sie haben hunderttausende Pflanzen zerstört. Mehr als hundert Leute sind verhaftet worden, einschließlich Tischler, Anwälte, Gärtner und Floristen. Es passierte heute Morgen. Ich sagte ja, dass ich es kommen sehe.“
„Mein Gott! Was zum Teufel geht hier ab? Wie kann, was gestern noch legal war, heute schon illegal sein, ohne eine Änderung der Gesetze. Vor kurzem habe ich noch gelesen, dass eine Kommission des Schweizer Parlaments die Entkriminalisierung von Cannabis debattiert und der Senat diesen Antrag unterstützt. Was brachte sie zu dieser Kehrtwendung?“
„Druck von außen, ist doch offensichtlich“, antwortete Scott.
„Von den verdammten Amis?“
„Diesmal nicht, Kumpel. Irgendwo ganz nah an der Schweiz, nebenan, um genau zu sein.“
„Du meinst Berlusconi und seine Faschistentruppe?“
„Ganz sicher. Du hättest wahrscheinlich an die fünfzig Kilo in diesem Hanfladen in Chiasso kaufen können. Massenweise Italiener kommen nach Lugano, Chiasso und in andere Teile des Tessins, um unter anderem dort zu arbeiten. Viele von ihnen rauchen Marihuana, das in der Schweiz billiger ist als in Italien. Sie haben nicht lange gebraucht um festzustellen, dass sie gutes Geld verdienen können, wenn sie den Stoff nach Italien schmuggeln. Sie bedienten sich jeder vorstellbaren Methode; zum Beispiel zu Fuß über die grüne Grenze oder über die alten Schmugglerpfade, die im Zweiten Weltkrieg benutzt wurden. Die italienischen Bullen fanden heraus, dass das ganze Zeug, das sie in Mailand und sonst überall konfiszierten, in der Schweiz angepflanzt worden war. Die Hanfläden verteilten sogar ihre Flugblätter in italienischen Clubs. Berlusconi bekam irgendwie seine Nase dran und ging mit eiserner Faust dagegen vor.“

Es machte Sinn. Die Schweiz ist nicht unabhängig und neutral, weil sie von anderen Ländern einschüchtert wird: Das Land bewahrt seine privilegierte Position, indem es sie alle mit einbezieht.
„Was es mir wirklich angetan hat, ist folgendes Schweizer Gesetz: Das Kultivieren von Marihuana ist nicht illegal, es sei denn, man beabsichtigt ,Narkotika zu extrahieren’. Ich habe keine ,Narkotika extrahiert’“, sagte Scott.
„Aber wie kannst du beweisen, dass du keine ,Narkotika extrahieren’ wolltest?“
„Müssen sie nicht beweisen, dass ich ,Narkotika extrahiert’ habe?“
„Du meinst, du bist unschuldig, bis deine Schuld bewiesen ist? Darauf würde ich mich nicht verlassen, besonders nicht hier in Europa. Der Napoleonische Code herrscht hier über die Rechtsprechung, was bedeutet, dass der Angeklagte die Beweislast seiner Unschuld trägt. Obwohl ich glaube, wenn du jenseits aller berechtigten Zweifel beweisen kannst, dass du Cannabis nur zum Zweck legaler Aktivitäten angebaut hast und einen Vertrag für die Hanfbierproduktion vorweisen kannst, keine Probleme entstehen würden.“
„Es gibt Berge von solchen Verträgen. Ich habe wirklich keine Narkotika extrahiert“, protestierte Scott.
„Ich weiß. Du hast genau das Gegenteil getan. Du hast all die nicht narkotischen Teilchen gesammelt, um sie den Yankees zu schicken, damit sie Parfum daraus machen. Vielleicht hast du damit Gesetze der Schweizer gebrochen.“
„Und wie das?“
„Weil die einzige Möglichkeit, an die nicht narkotischen Teilchen zu kommen, darin bestand, die narkotischen Teilchen zu extrahieren, was technisch gesehen gegen das Schweizer Gesetz ist, wie du gerade schon sagtest.“

Scott schaute mich an, als ob ich verrückt sei. Ich schaute zurück, als ob ich es wäre.

„Wie auch immer, Scott, all das THC aus sechs Tonnen Gras zu entnehmen, nur um die Yankees zufrieden zu stellen, war klar gegen eine Art höherer Ethik, wenn nicht sogar das Gesetz. Als du mir das erzähltest, wusste ich, dass es schlechtes Karma auslösen wird. Shiva wäre nicht erfreut gewesen.“
„Lass uns eine rauchen“, sagte Scott.

Als wir das Café verließen, war es bereits Nacht. Scott drehte einen starken Joint, den wir, während wir eine Stunde durch das Labyrinth der Ramblas spazierten, in Ruhe rauchten.
„Ich dachte gerade über etwas nach, Kumpel. Sie haben jeden verknackt, der mit Mr. Nice Seedbank verbunden war, außer mir, dem Züchter, und dir, Mr. Nice persönlich. Warum glaubst du, ist das so?“
„Wahrscheinlich, weil wir an diesem Morgen nicht in der Schweiz waren. Ich glaube nicht, dass einer von uns sobald wieder dorthin will.“
„Aber ich habe kein verdammtes Gesetz gebrochen.“
„Wenn sie aber glauben, dass es so ist oder denken, sie können dich einfach so kriegen, dann werden sie es trotzdem tun. Glaub mir.“

Scott schaute traurig aus der Wäsche. Wir gingen zurück zum Hotel und verabredeten uns zum Frühstück um 9.30 Uhr. Ich wachte um 9.00 Uhr auf. Auf dem Boden lag eine Nachricht.

„Lieber Howard, ich geh zurück nach Campione d’Italia. Ich habe nichts zu befürchten, weil ich gegen kein Gesetz verstoßen habe. Und ich habe Sara versprochen, mit ihr schwimmen zu gehen. Es ist 7.00 Uhr und ich will dich nicht wecken. Außerdem würdest du versuchen, mich zu überreden, nicht zurückzufahren. Aber ich weiß, dass es nicht anders geht. Bin in einer Woche zurück in Barcelona. Hoffe dich dann zu sehen. Liebe Grüße, Scott.“

 

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